Geballte Frauenpower, Bodybuilder Drachen und ein Stargate

Was erwartet die Zuschauer bei den diesjährigen Nibelungen-Festspielen und dem Stück „BRYNHILD“

Wenn der Frühling in Worms in voller Blüte steht, ist das zugleich auch ein untrügliches Zeichen dafür, dass in meiner Heimatstadt sich die Nibelungen-Festspiele auf die große Premiere am 7. Juli vorzubereiten. Wie unter Intendant Nico Hofmann üblich, wird auch in diesem Jahr eine Uraufführung auf die Bühne an der Nordseite des Wormser Doms gebracht. „BRYNHILD“ ist der Name und wurde verfasst von der erfolgreichen Autorin Maria Milisavljević.

Damit ist es im Übrigen erstmals eine Frau in der 20 Jährigen Geschichte der Festspiele, die Schreiberische Verantwortung trägt. Das ist interessant, da im Zentrum des Nibelungenliedes zwei starke Charaktere stehen, denen von männlicher Seite Gewalt widerfährt. In den vergangenen Jahren gab es bei den Festspielen zwar immer wieder die Auseinandersetzung mit diesem Schlüsselthema der Nibelungensage, allerdings stets geschrieben aus der zwangsläufig männlichen Perspektive eines eben männlichen Autors. Das ist per se nicht verkehrt und führte mitunter zu interessanten Beitragen wie „Siegfrieds Erben“ von Feridun Zaimoglu und Gerhard Senkel. Damals dachte das Autorenduo die Geschichte weiter und beschäftigte sich mit der Frage, was eigentlich aus Brünhild wurde, nachdem die Burgunder sich zu Kriemhild und Etzel aufmachten und einem Gemetzel untergingen. Auch die Autorin Milisavljević stellt Brühnhild in den Mittelpunkt der Geschichte. Sie reist allerdings ganz zurück zu den Anfängen und bedient sich der nordischen Mythologie, genauer gesagt der Lieder Edda. Dort heißt Brünhild Brynhild, lebt als Tochter von Odin und Frigga auf Isenland. 

Liederedda statt Nibelungenlied

Bei einem Pressegespräch, das ich im Rahmen meiner Arbeit für das WO! Magazin besuchte, erklärte die Autorin, dass in der Lieder Edda die Geschichte zwischen Brynhild und Sigurd eine Leerstelle sei, die sie nun füllen möchte. Sigurd, das ist Siegfried und der ist wie in der germanischen Variante ein schwertschwingender Hitzkopf, der behauptet, einen Drachen erschlagen zu haben. Wer nun allerdings eine mythologisch aufgeladene Liebesgeschichte zwischen zwei kraftstrotzenden Charakteren erwartet, hat natürlich die Rechnung ohne die Festspiele gemacht. Im Gegensatz zu solch familientauglichen Festspielen wie jene mit Winnetou oder Klaus Störtebeker, fühlen sich die Nibelungen in Worms mehr wie der klassische „Jedermann“ an, verdammt dazu, immer wieder das eigene tragischen Schicksal zu verhandeln. In Worms bedeutet das im Sommer, dass die Regisseurin Pinar Karabulut nicht nur bildgewaltiges Freilufttheater inszenieren möchte, sondern auch Fragen stellt. So erklärte sie unlängst bei dem Beginn der Proben am 19. Mai: „Was ich so spannend finde: Wie erzähle ich eine Geschichte neu, die so im kulturellen Gedächtnis festgeschrieben ist?“ Oder ist sie so festgeschrieben, dass sie immer wiederkehrt wie ein Alptraum?” So findet sich die isländische Göttertochter Brynhild in dem Zwiespalt zwischen Tradition und Selbstermächtigung wieder. Karabulut dazu: „Kann sie als Frau, als weiblich gelesener Körper, aus ihrer Rolle ausbrechen? Schafft sie es allein? Wer ist stärker: Sie oder die Geschichte?”

Bei der Pressekonferenz der Festspiele hatte ich zudem die Möglichkeit, die quirlig sympathische Regisseurin, die derzeit zu den gefragtesten Theatermacherinnen und –macher im deutschsprachigen Raum gilt, über ihre Pläne zur Inszenierung zu befragen:

ANDREAS STUMPF

Foto: @ Andreas Stumpf

WO! Sie inszenieren vor dem Wormser Dom. Was bedeutet es, solch eine Bühne in Szene zu setzen?

Ich habe tatsächlich bisher nur eine Open Air Inszenierung gemacht. Das war eine Oper. Aber das war nicht ansatzweise so groß, wie das hier in Worms sein wird. Meine Bühnenbildnerin Michela Flück und ich hatten dennoch nie Angst vor der Größe der Bühne. Mein erster Gedanke war, wie können wir es machen, Dinge von oben in das Bild einfügen zu können? Können wir einen Kran anmieten? Dann hieß es allerdings direkt, das geht nicht. Die Frage, die wir uns letztlich stellten, war, wie können wir neue Mittel und Wege finden, diesen Abend zu gestalten.

WO! Das heißt, im Theater haben Sie den Vorteil der Ausstattung und hier die Herausforderung der Natur?

Ja, genau. Das ist der Aspekt, auf den ich mich am meisten freue. Ich kann mich nur eingeschränkt auf die übliche Theatertechnik verlassen, da die Natur das Wetter vorgibt. Wir müssen also die komplette Psychologie dieses Abends anders lenken Das ist die Herausforderung, auf die ich mich freue. Die schiere Größe der Bühne ist nur Einladung, dass ich noch mehr zeitgleich auf der Bühne machen kann (lacht).

WO! In einem Interview sprachen Sie davon, dass Sie inszenatorisch Sehgewohnheiten untergraben möchten. Was bedeutet das genau?

Das ist tatsächlich einer meiner Hauptantriebspunkte in meinem Beruf. Kunst sollte für mich etwas wahnsinnig Befreiendes sein, was den Menschen beflügelt. Wenn ich zum Beispiel in ein Museum gehe und ein Bild anschaue, will ich, dass das was mit mir macht und wenn ich es gedanklich mit nach Hause nehme, es mich in eine andere Welt transportiert, bevor ich mich wieder an den Schreibtisch setze. Ich finde es wiederum schade, dass im deutschsprachigen Raum im Theater immer wieder erzählerische Regeln gelten, die unbedingt eingehalten werden müssen. Demensprechend ist es oftmals so, dass das Publikum bereits mit der Erwartungshaltung ins Theater geht, dass die Geschichte genau so erzählt werden soll. Aber das Leben ist nicht so. Das Leben ist viel verrückter. Teilweise sind wir auf den Theaterbühnen viel braver, als das eigentliche Leben spielt.

WO! Birgt das nicht auch die Gefahr, dass das Publikum mit zu viel Neuem überfordert ist?

Ja, das ist mir bewusst und ich weiß, dass die Gefahr besteht, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer sich verschließen.

Das komplette Interview können Sie hier lesen: www.wo-magazin.de

Das Neue, das ist bei den Festspielen in diesem Jahr nicht nur die kreative weibliche Doppelspitze aus Autorin und Regisseurin, sondern ein durchaus diverser Ansatz, der auch vor einem Rollenwechsel der Geschlechter nicht Halt macht. So wird der Darth Vader der germanischen Vokssagen, Hagen von Tronje, vom einäugigen grummeligen Familienbeschützer zum dunkelhäutigen Protagonisten gespielt von der Schauspielerin Ruby Commey. Sigurd wird gespielt von Bekim Latifi und Frigga, Odins Gattin, von der vielseitigen Künstlerin Parisa Madani. Der in Togo geborene Schauspieler Bless Amada schlüpft wiederum in die Rolle des nordischen Göttervaters Odin. So weit, so bunt! Während im Kino derzeit die Diverse-Emanzipation nicht ohne Kritik und Kassenverluste voranschreitet, ist im Theater das Umdeuten von Geschlechterrollen schon längst eine Normalität, wenn ich auch im Falle von „BRYNHILD“ attestieren muss, dass es für die primär eher konservativ ausgerichteten Festspiele ein sicherlich nicht uninteressantes Experiment ist. 

Wer sind eigentlich die Darsteller/Innen?

Parisa Madani entstammt deutsch-persischen Eltern und arbeitet heute als Sängerin, Schauspielerin und bietet experimentelle Traummeditationen an. Bless Amada wurde wiederum in Togo geboren. Mit zehn Jahren zogen seine Eltern nach München. Dort absolvierte er an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule seine Schauspielausbildung. In den letzten zwei Jahren spielte er in zahlreichen TV Serien mit. In München studierte auch der deutsch-albanische Schauspieler Bekim Latifi. Latifi arbeitete viele Jahre am Thalia Theater und aktuell spielt er für die Münchner Kammerspiele. Die Mainzerin Şafak Şengül ist auf vielen Bühnen zuhause und spielte 2020 auch in dem vielbeachteten Kinofilm „Rabiye Kurnaz vs. George W. Bush von Andreas Dresen mit. Einen festen Platz im skandinavischen Fernsehkrimi hat der Däne Jens Albinus. So war dieser in den vergangenen Jahren in Serien wie „Kommissarin Lund“, „Der Adler“ und „Borgen“ zu sehen. Ebenfalls zur Besetzung gehören Laina Schwarz, die ebenfalls ein gern gesehener Gast in TV Krimis ist und zuletzt in den Serien „Marie Brand“, SOKO Wismar“ und „Der Staatsanwalt“ mitspielte. So abwechslungsreich wie die Namen der Serien sind auch ihre Engagements auf Deutschlands Theaterbühnen. Simon Kirsch ist ein vielgefragter Theaterdarsteller, der in den vergangenen Jahren an Bühnen wie der Wiener Burgbühne, dem Schauspielhaus Zürich oder am Thalia Theater in Hamburg brillierte. Ruby Commey erspielte sich ihren guten Namen überwiegend an Berliner Bühnen. International bekannt wurde die dunkelhäutige Schauspielerin durch das Musikvideo Deutschland, das die Band Rammstein im März 2019 veröffentlichte und in dem sie die Germania spielt. In der titelgebenden Rolle der Brynhild tritt wiederum Lena Urzendowsky auf. Urzendowsky gibt in Worms ihr Theaterdebüt. Vor der Kamera hat sich die 23 Jährige bereits einen Namen gemacht und spielte die Hauptrolle in der viel diskutierten Amazon Prime Serie „Zoo“ mit, die auf der Autobiografie „Christiane F. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ basiert. Ebenfalls in den 70er Jahren beheimatet und ebenfalls für Amazon Produziert, spielte die Berlinerin auch in der Serie „Lude“ eine wichtige Rolle. 

Ein Special Guest als Drache

Eigentlich soll laut Intendant Hofmann das Ensemble der Star sein, oder wie er es auf der Pressekonferenz erklärte: „Wir wollen weg vom stargetriebenen Ensemble!“ Doch so ganz kann man auch 2023 nicht die Hand von prominenten Namen lassen. Als Special Guest gehört in diesem Jahr der Bodybuilder Ralf Moeller („Gladiator“, Serie „Conan“) zu der Besetzung. Ein Name, der auf den ersten Blick aus dem Rahmen fällt, aber letztlich auch interessant ist. Moeller wird zwar nicht live auf der Bühne stehen, allerdings wird seine Erfahrung vor der Kamera miteinbringen, denn Moellers Szenen werden im Odenwald gedreht und später per riesiger LED Leinwand bei den Festspielen in das Stück integriert. Der Mann, mit dem eindrücklichen Körperproportionen und Dauerkumpel von Arnold Schwarzenegger spielt in dem Stück „BRYNHILD“ den Drachen Fafnir (!). Wie genau das aussehen wird, ob Moeller als Drache geschminkt durch den Odenwald robbt, nur seine Stimme leiht oder gar kein Drachen im eigentlichen Sinne ist, dieses Geheimnis wird natürlich erst zur Premiere gelüftet.

Wo Festspiele sind, muss auch ein bisschen Spektakel sein

Zwar betonen alle Verantwortlichen stets den künstlerischen Anspruch, aber auch dieser muss sich dem Diktat des Sommerspektakels unterwerfen, denn die Festspiele wollen nicht nur zur intellektuellen Auseinandersetzung einladen, sondern auch ein Stückweit das Publikum überwältigen. Im Grunde braucht es zwar nur den Blick auf den übermächtigen Dom, um zu überwältigen, aber da das alleine reicht nicht, um über die drei Stunden der Aufführung zu fesseln. Gemeinsam greift man tief in die Trickkiste, um eine „neo-futuristische“ Welt zu schaffen, wie es die Regisseurin beschreibt. Bei einem Pressegespräch im Herbst 2022 sprach Regisseurin Karabulut davon, das Bühnenbild lila zu gestalten. Tatsächlich zeigen erste Visualisierungen eine lila Wüste vor einer riesigen Videoleinwand, die zugleich wie ein Portal wirkt. Die Figuren auf der Bühne können durch dieses Stargate äh Portal Zeiten durchschreiten, von der Antike bis zur Zukunft. Die Videokünstlerin und Filmemacherin Susanne Steinmassel wird dieses Portal ins rechte Licht rücken, aber auch Karabulut tatkräftig bei den Dreharbeiten der filmischen Szenen unterstützen. Die Bühnenbildnerin Michela Flück verspricht eine neuartige Welt vor dem Dom. Eine, die die Epochen vereint. „Der Dom wirkt wie eine Halluzination in der dystopischen Welt, in der wir das Leben von Brynhild ansiedeln“, sagt die aus Zürich stammende Bühnenbildnerin über ihr Werk. „Eine zeitlose Landschaft umgibt den Wormser Dom: Fragmente einer antiken Ausgrabungsstätte, verschüttet unter Sand, kein Meer in Sicht“, erklärt sie weiter. Ein Spektakel für die Ohren verspricht der Musiker Daniel Murena, der gemeinsam mit Martin Tagar und Oliver Bersin für die Bühnenmusik verantwortlich sein wird, die live zur Aufführung gespielt wird. Murena ist ein spannender Komponist, dessen Wurzeln im Pop und Rock liegen, aber sich auch in der Avantgarde heimisch fühlt. Gemeinsam mit klassischen Kompositionsansätzen, aufgefüllt mit Horror Sound und Industrial Effekten, verpasste der Musiker bereits etlichen Theaterstücken seit 2006 den richtige Sound und dürfte auch im Kontext der Festspiele ein ungewöhnliches Musikgewand in den Nachthimmel von Worms zaubern. 

Nach 20 Jahren Nibelungen-Festspielen ist es eigentlich erstaunlich, wie viel Facetten man diese 800 Jahre alte Geschichte immer noch abgewinnen kann. In diesem Jahr ist es neben der weiblichen Perspektiven auch wichtig, ein junges Team vor dem Dom zu versammeln, verbunden mit der Hoffnung, das historische Erbe dieses großartigen Stoffes auch jüngeren Menschen näher zu bringen. Das kann nur gut sein, denn schließlich sind die Nibelungen auch ein Lehrstück darüber, wie Gier, Hass, Neid und vor allem Macht alle ins Verderben führen kann. Ich jedenfalls freue mich auf das Stück „BRYNHILD“. Fehlt nur noch das passende Wetter dazu, aber das gibt es in Worms meistens gratis obendrauf. 

Die Festspiele finden in der Zeit vom 7. Juli bis 23. Juli statt.

Weitere Informationen rund um die Festspiele finden Sie hier: https://www.nibelungenfestspiele.de/nibelungenfestspiele/

Bühnenbild “BRYNHILD”, Foto: @ Nibelungen Festspiele