Die Stadt Worms und das jüdische UNESCO Welterbe

Seit dem 27. Juli 2021 ist es offiziell. Das historische Erbe der jüdischen Gemeinden in den Städten Worms, Speyer und Mainz gehört seitdem zum Unseco-Welterbe. Unter dem Namen SchUM schlossen sich die drei Städte vor vielen Jahren zusammen, um in die begehrte Liste aufgenommen zu werden. Dabei ist es nicht nur der touristische Aspekt, der die Städte antreibt, sondern auch Anerkennung ob der historischen Bedeutung. SchUM ist eine Abkürzung aus den Anfangsbuchstaben der mittelalterlichen hebräischen Städtenamen von Speyer (Schpira), Worms (Warmaisa) und Mainz (Magenza). Zugleich gelten die drei Städte auch als Geburtsort des „aschkenasischen Judentums“. Darunter versteht man das europäische Judentum. Mit dem Versprechen auf Zollerleichterungen lockte man ab ca. 960 nach Christus insbesondere wohlhabende Familien in die Städte am Rhein. Während heute Mainz die Muttergemeinde der wenigen in Worms lebenden Juden ist, war die Bedeutung im Mittelalter umgekehrt. Zahlreiche bedeutsame Gelehrte, wie der Rabbiner Meir von Rothenbur oder der Mystiker Elasar ben Juda lebten und lehrten in Warmaisa. Worms wurde zum Klein-Jerusalem, wie es ehrfürchtig von vielen Juden genannt wurde. Der jüdische Religionslehrer Salomon Rothschild erklärte bereits 1905: „Worms gehört zu den Städten des Abendlandes, an welche sich die meisten und bedeutsamsten Erinnerungen für die Geschichte und Literatur des Judentums knüpfen.“ 1849 wurde in Worms mit Ferdinand Eberstadt 1849 gar der erste Bürgermeister Deutschlands, der dem jüdischen Glauben angehörte, gewählt. Dabei musste der beliebte Politiker sich gegen viele Widerstände durchsetzen. Im Rheinischen Hochverratsprozeß im Juli 1850 war Eberstadt als “intellectueller Urheber” wegen erpresserischer Nötigung angeklagt. Im Herbst desselben Jahres wurde er allerdings freigesprochen. Nach seinem Ende im Amt als Bürgermeister 1852 wurde er in den Gemeinderat gewählt. Kurz darauf folgte aufgrund einer ministeriellen Verfügung die Entbindung vom Amt. Ein vorerst endgültiges Ende der jüdischen Geschichte in Worms kam schließlich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Heute leben in Worms rund 60 Juden, die  zumeist aus osteuropäischen Ländern in den 90er Jahren in das frühere Klein-Jerusalem zogen. Das Raschi-Haus ist derweil die Heimat der jüdischen Geschichte in Worms. Die Synagoge und der Friedhof „Heiliger Sand“ sind indes Zeugen der Zeit, die die Besucher einladen, Geschichte zu erleben.

Eine Übersicht über das „SchUM-Geschehen“ finden Sie auf der Homepage: www.schumstaedte.de 

Das sollte man in Worms / Warmaisa gesehen haben: 

Heiliger Sand

Fast unscheinbar liegt er am Rande des Stadtzentrums, der älteste noch erhaltene Judenfriedhof Europas, der „Heilige Sand“. Begrenzt von einer Bahnlinie und einer Hauptverkehrsstraße lässt sich im ersten Moment nicht vermuten, dass hinter den von Bäumen gesäumten mächtigen grauen Mauern eine innerstädtische Oase der Ruhe und zugleich eine Ort der Andacht liegt. Dreieckig angelegt fasziniert der Friedhof mit einer eigentümlichen Mischung aus verwunschenen Garten und monolithischem Zeitzeugen. Verteilt auf sanft hügeligem Land stehen 2.500 Grabsteine, von denen der Älteste auf das Jahr 1074 nach Christus datiert ist. Unverzichtbar ist bei dem Besuch dieser historischen Stätte das Innehalten am „Martin-Buber-Blick“. Von dort hat man einen majestätischen Blick über den Friedhof, während im Hintergrund erhaben und mächtig der rund 1000 Jahre alte Wormser Dom St. Peter über allem thront, als würde er ein wachsames Auge auf die jüdischen Nachbarschaft werfen. Wer sich nicht nur von der magischen Atmosphäre dieses außergewöhnlichen Platzes inspirieren lassen möchte, kann auf eine der zahlreichen städtischen Führungen zurückgreifen oder die SchUM-App herunterladen, die nicht einfach nur Wissen abhandelt, sondern den Grabsteinen Gesichter gibt. Der Friedhof, dessen Steine ungewohnt von Norden nach Süden ausgerichtet sind, ist nicht einfach nur eine historisches Dokument längst vergangener Tagen, sondern genießt auch eine überaus prominenten Bedeutung als Wallfahrtsort für Juden aus aller Welt. Bis heute kommen religiöse Juden zum Heiligen Sand nach Worms. Gleich hinter der hölzernen Eingangspforte wurden links des Weges die Gräber des mittelalterlichen Rabbiners Meir von Rothenburg und dessen Schülers Alexander ben Salomon Wimpfen zu regelrechten Wallfahrtstätten. Unter kleinen Steinen sammeln sich unzählige Papierzettel mit Botschaften und Bitten. Seit geraumer Zeit ist aufgrund der Menge der Zettel ein Briefkasten neben dem rund 1000 Jahre alten Grab aufgestellt worden. Männer werden übrigens darum gebeten, beim Betreten der Ruhestätte eine Kopfbedeckung zu tragen. 

Synagoge, Mikwe, Frauenschul

Das frühere jüdische Viertel der Stadt befindet sich in der Altstadt, genauer gesagt in der Judengasse. Einer schmalen mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Straße gerademal zwei Gehminuten von den Nibelungen-Apartments entfernt. Auch hier haben die Stadtzerstörungen 1689 und 1945 ihre Spuren hinterlassen. Neubauten aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts schmiegen sich an die mittelalterliche Stadtmauer, die den Norden der früheren Stadtgrenze markiert. Die 80er Jahre Bauten wechseln sich dabei immer wieder ab mit Gebäuden, deren Ursprung in das 19. Jahrhundert zurückreicht. In der Mitte dieser Straße bzw. Gasse findet sich die Synagoge. Nicht nur, dass sich in Worms die älteste Grabstätte jüdischen Glaubens in Europa beheimatet ist, selbiges gilt auch für die 1034 fertiggebaute Synagoge. Diese ist nicht nur Sehenswürdigkeit, sondern wird mittlerweile auch wieder als Gebetsstätte genutzt. Die Synagoge kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken, die auch von Pogromen geprägt war. Immer wieder wurde sie zerstört und wieder aufgebaut. So wurde sie 1938 von den Nationalsozialisten niedergebrannt, um schließlich 1961 wieder eröffnet zu werden. Zu dem Gebetshaus gehört zudem die erste überlieferte Frauenschule, die 1212/1213 an die Synagoge angebaut wurde. Ebenso gehören dazu die Mikwe, das jüdische Badehaus, das 1186 fertiggestellt wurde, und die Fundamente des ehemaligen Gemeindehauses, auf dem heute das Raschi-Haus steht mit seiner Ausstellung über das Leben der jüdischen Gemeinde in Worms. Das Synagogengelände kann derzeit nicht besichtigt werden, da dort grundlegende Sanierungsarbeiten stattfinden. 

Raschi-Haus

An der Stelle des heute zweckmäßigen Baus befand sich im Mittelalter eine einflussreiche Talmud-Schule, das Raschi-Lehrhaus. Benannt nach ihrem Lehrer Rabbi Schelomo ben Jichaki, befindet sich heute auf dem Grundstück das Wormser Stadtarchiv sowie das Raschi-Haus, das jüdische Museum der Stadt Worms. Zahlreiche Bilder, handschriftliche oder schreibmaschinengetippte Dokumente entführen die Besucher in die wechselvolle Geschichte der Wormser Juden. Mal verfolgt, mal geschätzt, sorgten Hitlers Nationalsozialisten dafür, dass es in Worms nach dem Zweiten Weltkrieg keine jüdische Gemeinde mehr gab. Das Museum legt derweil Zeugnis darüber ab, wie glorreich und stolz die tausend Jahre alte Gemeinde einst mal war. Das Museum hat Dienstag bis Sonntag von 10 – 12.30 Uhr & 13.30 – 17 Uhr geöffnet. Im Museum gelten die allgemeinen Abstands- und Hygienevorschriften, weshalb aktuell nur 15 Personen gleichzeitig das Museum besichtigen können.

Link: www.worms.de/juedisches-museum/

Ausflugsziele Speyer und Mainz

Speyer (Schpira)

Speyer liegt mit dem PKW ca. 50 Minuten südlich von Worms und ist sowohl über die Autobahn als auch die Bundesstraße von Worms aus sehr gut zu erreichen. das Gelände von der domseits gelegenen Straße her durch das Museum Schpira, das auf einer relativen kleinen Ausstellungsfläche Grabsteine, Doppelbogenfenster und Fragmente der mittelalterlichen Synagoge zeigt. Deren Überreste zeigen sich in Gestalt erhaltener Mauern, der angrenzenden Frauenschul und der als Bodendenkmal überlieferten Jeschiwa. Im Zentrum des ehemaligen Judenviertels (»Judenhof«) steht der eindrucksvolle Bau der  Mikwe aus der Zeit um 1120. Das romanische Ritualbad ist das älteste erhaltene seiner Art in Europa. Rund elf Meter muss man in die kühle Dunkelheit hinabsteigen, ehe man auf das eigentliche Badehaus stößte. Die Wormser Mikwe fühlt sich beim Vergleich wie das kleine „Rolemodel“ an, dass zwar als Vorbild diente, aber unbedingt übertroffen werden sollte. Die Mikwe und ihre Anlagen waren für die Juden in Speyer bis zur Auflösung der Gemeinde im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts ein zentraler Ort.   

Linktipp: www.speyer.de/de/tourismus/planen-und-buchen/rundgaenge-und-touren/fuehrungen-fuer-gaestegruppen/fuehrungen-in-historischen-sehenswuerdigkeiten/judenhof-mit-museum-schpira-und-mikwe/

Mainz (Magenza)

Die Landeshauptstadt Mainz, die dritte Stadt im Bunde, nördlich von Worms ebenfalls rund 50 Kilometer entfernt, hat die wenigsten Baudenkmäler aufzuweisen. Zahlreiche Kriege haben das haptische Erbe auf ein Minimum reduziert, darunter eine Synagoge. Die Synagoge in Mainz-Weisenau wurde 1737/38 erbaut. Sie ist die einzige Synagoge in Mainz, die die Zeit des Nationalsozialismus und die Bombenangriffe überdauerte und das älteste noch erhaltene Gebäude in Weisenau. Da die Weisenauer jüdische Gemeinde im 18. Jahrhundert fast ein Viertel der Dorfbevölkerung ausmachte, wurde die Synagoge auf der Wormser Straße errichtet. Erhalten sind ebenfalls Teile des „Judenfriedhofs“. Der älteste Teil datiert auf das Jahr 1286. Ähnlich wie der Wormser Friedhof liegt auch dieser an einer Hauptverkehrsstraße. Während man in Worms allerdings diesen Umstand schnell vergisst, kann man das in Mainz jedoch nur schwer ignorieren. Lautstark brausen die Autos tagsüber emsig umher und schaffen so ein Kontrastgefälle, wie es stärker nicht sein könnte. 

Linktipp: www.förderverein-synagoge-mainz-weisenau.de

App-Tipp

Die App bietet einen Streifzug durch den Judenhof in Speyer, über den alten jüdischen Friedhof „Heiliger Sand“ in Worms sowie den Synagogenbezirk in Worms. Zusätzlich erklärt die App mit faszinierenden Geschichten, was es mit SchUM, der Architektur von Synagogen, Frauenräumen und Ritualbädern auf sich hat – und weshalb jüdische Friedhöfe „Orte der Ewigkeit“ auf sich hat. Vier unterschiedliche Stories erzählen von der jüdischen Geschichte und ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Ob Abel und Anton, Maayan oder Rebecca und David – die Protagonisten sind wissbegierig, diskussionsfreudig und lieben Geschichte/n. Der Nutzer hat die Möglichkeit, zwischen Anhören und Lesen zu wählen. Zudem ist die App mit vielen Bildern angereichert. Des Weiteren gibt es Zusatzinformationen zu Öffnungszeiten, Regelungen für den Besuch von u.a. einer Synagoge und eines jüdischen Friedhofs, touristischen Tipps und Hinweisen zu Restaurants. Unterstützte Sprachen: Deutsch und Englisch.

www.schumstaedte.de/schum-app/

Buchtipp

Jerusalem am Rhein

Man kann sich Geschichte natürlich in der üblichen Form über informative Internetseite oder ganz klassisch unter Zuhilfenahme von Fachliteratur zu Eigen machen. Man kann aber auch über Geschichten Geschichte begreifbar machen. Das geschieht ganz wunderbar in dem Buch „Jerusalem am Rhein“. Der Professor für Religionswissenschaft und Jüdische Studien, Karl E. Grözinger, hat für dieses Buch zahlreiche Erzählungen, Legenden, Sagen, aber auch Alltagsgeschichten zusammengetragen. Sortiert in acht Kapiteln (z.B. „Wormser Wundermänner und Magier“ oder „Aus den Gerichtsstuben“) lässt er historisch verbürgte Persönlichkeiten ihre jeweilige Zeit / Erlebnisse schildern. Mal ist das humorvoll, mal ist das traurig, aber immer vereint die Geschichten, dem Leser diese Zeit vor Augen zu führen und damit ein Gefühl für die Bedeutung der drei Städte zu bekommen. Unterhaltsamer kann Geschichtsunterricht kaum sein. 

Jüdische Geschichten aus Speyer, Worms und Mainz

Von: Grözinger, Karl E.
Worms-Verlag, 2018, 256 Seiten, 60 Abb., 16 x 24 cm, kartoniert I 26 Euro
ISBN: 978-3-944380-83-4

Link: www.wormsverlag.de