Nibelungen-Festspiele 2024: Der Diplomat

Unter dem Titel „Der Diplomat“ steht in diesem Jahr die Sagenfigur Dietrich von Bern im Mittelpunkt des Geschehens. 

Während sich die beiden Autoren in „Siegfrieds Erben“ mit den Folgen des Gemetzels an Etzels Hof auseinandersetzten, kehren sie nun an den Vorabend des Krieges zurück. Jener Moment, als Dietrich von Bern im Wissen, dass Kriemhild Rache üben möchte, den Wormsern entgegen reitet, um die Katastrophe noch abzuwenden. War Dietrich von Bern bisher eher eine Nebenfigur, steht er dieses Mal im Mittelpunkt der Erzählung. Inspiriert wurden die Autoren von den realen Ereignissen rund um den Überfall Russlands auf die Ukraine und den bisher vergeblichen Vermittlungsversuchen. Von Bern ist ein Mann des Krieges, der auf dem Schlachtfeld schmerzhaft lernen musste, was Krieg verursacht, einschließlich des Selbstmordes seiner Frau. Nun ist der einstige König ohne Land und verdingt sich für König Etzel, der im Übrigen in der Aufführung nicht vorkommen wird, als Brautwerber. Das Objekt der Begierde ist Kriemhild. Doch der Recke ahnt, dass die Geschichte nicht gut ausgehen wird. Am Wormser Hof angekommen, muss er bald erkennen, dass der Geist von Siegfried allgegenwärtig ist, während in Kriemhild das kompromisslose Verlangen nach Rache erwacht. Zudem muss sich Dietrich von Bern seinen eigenen Dämonen der Vergangenheit stellen. Nichts Gutes ahnend, hofft er, Schlimmeres verhindern zu können. Theorien besagen, dass die Sagenfigur des Dietrich von Bern an den historischen Ostgotenkönig Theoderich den Großen angelehnt ist, der in der Provinz Ravenna herrschte. Das Bern im Namen des Exil Königs Dietrich steht übrigens nicht für die Schweizer Stadt, sondern für den mittelalterlichen Namen des italienischen Verona in Anlehnung an das Vorbild Ravenna. 

Bezüglich des Anti-Kriegs-Ansatzes des aktuellen Stücks erklärt Hagen Darsteller Thomas Loibl: „Auf der Bühne können Kulturschaffende Themen buchstäblich durchspielen, ohne dass jemand leiden oder gar sterben muss. Und, noch wichtiger: Theater kann eine Diskussion in Gang bringen. Eine, die, wenn man es ganz idealistisch betrachtet, am Ende vielleicht doch ein kleines Stück dazu beitragen kann, dass Dietrichs Streben nach Frieden zum Ziel führt.“ Regisseur Roger Vontobel unterstreicht die Herangehensweise mit dem Satz: „Antworten sind nicht das richtige Mittel im Theater. Ich mag offene Enden, die Perspektive der Möglichkeit. Denn eine Zerstörung ist gleichzeitig auch die Möglichkeit eines neuen Anfangs einer anderen Person oder einer anderen Situation. Es ist also nicht einfach eine Apokalypse, sondern für eine Gruppen von Menschen ein Neubeginn.“

Das Ensemble

Star ist in diesem Jahr ist ganz klar Jasna-Fritzi Bauer. Bekanntheit erlangte die 1989 geborene Schauspielerin vor allem durch ihre Rolle als Kommissarin Liv Moormann im Bremen „Tatort“. Auch auf der Kinoleinwand ist sie ein gern gesehener Gast. So zum Beispiel in „About a Girl“, für den sie 2015 mit dem Bayerischen Filmpreis als „Beste Nachwuchsschauspielerin“ 2015 ausgezeichnet wurde. Neben Moritz Bleibtreu spielte sie 2018 in der Sebastian Fitzek Verfilmung „Abgeschnitten“. Seit dem 30. Mai ist sie auch in der Amazon Serie „Viktor Bringts“ zu sehen. Die nächsten sechs Wochen wird sie indes in Worms verbringen.

Aufmerksamkeit erregte sie zudem durch ihr Outing. In einem exklusiven Interview mit Fotostrecke für die Juni-Ausgabe der Vogue. Dort schilderte sie, dass sie jahrelange ihre Beziehung mit der Künstlerin Katharina Zorn und deren gemeinsame Tochter geheim hielten. Mit Katharina Zorn spricht sie auch jeden Dienstag in dem Podcast „Messed up“ auf amüsante Weise über die Untiefen des Internets, die Herausforderungen des Alltags und natürlich den Beruf. In „Der Diplomat“ stellt sie sich der Herausforderung, die von Trauer und Hass zerrissene Kriemhild zu spielen. 

Franz Päzold, der bereits unter der Regie von Roger Vontobel 2022 in dem Stück „hildensaga.ein königinnendrama“ König Gunther spielte, verkörpert in diesem Jahr die Hauptrolle, nämlich Dietrich von Bern. Der 1989 in Dresden geborene Schauspieler hat schon in zahlreichen Fernsehfilmen und Serien mitgewirkt, beispielsweise in „Tatort“- oder „SOKO“-Produktionen. Auch auf der Theaterbühne stand Pätzold schon oft, vor allem im Residenztheater München und im Burgtheater Wien. Doch die Nibelungen-Festspiele haben es ihm offenbar besonders angetan. Er gab Worms den Vorzug vor den Salzburger Festspielen, die in diesem Sommer auch für ihn infrage gekommen wären. Als Gründe gab er hierfür die bessere Bezahlung sowie die deutlich kürzere Spielzeit an. Zu seiner Rolle erklärte er: „Wir lesen Dietrich von Bern als moralische Figur, weil er von etwas überzeugt ist. Aber vielleicht ist er gar nicht moralisch, er hat ja auch egoistische Motive.“ 

In der Rolle des sinisteren Strippenziehers der Burgunder Familie, Hagen, ist der 55 jährige Schauspieler Thomas Loibl zu sehen. Loibl ist ein gefragter Filmschauspieler und stand in den vergangenen Jahren für so unterschiedliche Produktionen wie „Die Wannseekonferenz“, „Jackpot“ und zuletzt für „Tatort“ vor der Kamera. Nach einer dementsprechend längeren Theaterpause freut er sich auf die Rückkehr auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Seinen Hagen sieht Loibl indes nicht als mittelalterliche Badass, wie er zumeist dargestellt wird. Für den Schauspieler ist der Charakter deutlich komplexer. So erklärte er bei der Pressekonferenz: „Warum sollte so jemand wie Hagen nicht auch mal recht haben damit, die überlieferten Regeln und Gesetze zu bewahren in all dieser aktuellen Hysterie?“

Der Regisseur 

Regie führt erneut der Schweizer Regisseur Roger Vontobel, der bereits 2018 bei „Siegfrieds Erben“ Regie geführt hat, und dessen spektakuläre Wormser Inszenierung von Ferdinand Schmalz‘ „hildensaga“ 2022 ebenfalls Zuschauer und Kritik begeistern. Wenn man mit ihm spricht, spürt man geradezu die Energie und die Lust am künstlerischen Schaffen. So fragte ich den Regisseur, warum er sich immer wieder dem Mythos Nibelungen widmet. Bereits bevor er in Worms 2018 erstmals in Erscheinung trat, inszenierte er Friedrich Hebbels „Die Nibelungen“. Im sympathischen Plauderton erklärte er mir: „Es ist einfach ein Faszinosum an sich. Ich vergleiche es immer mit „Star Wars“. Das Universum ist sozusagen unergründlich und riesig. Die Nibelungen sind ein Sammelsurium an Geschichten, an Vernetzungen und immer wieder auch ein Spiegel in unsere Zeit. Je mehr ich mich damit beschäftige, desto faszinierender finde ich dieses Universum.“ Natürlich gehen mit dem Namen Vontobel auch Erwartungen einher. Aber erzeugen diese Erwartungen auch Druck? „Druck ist immer da! Finden die Leute gut was ich mache oder eben nicht. Vielmehr überwiegt aber die Freude. Ich mag es, Geschichten groß zu erzählen und das kann ich hier in Worms“, schildert Vontobel den Umgang mit dem Druck. Erwartungen hat auch Intendant Nico Hofmann. Dieser begründet die Entscheidung, den Schweizer ein drittes Mal nach Worms zu holen, damit, dass Vontobel eine Gabe habe, beeindruckende Bilder zu inszenieren und dennoch die Geschichte fest im Blick zu haben.

Die Autoren ´

Es ist nach „Siegfrieds Erben“ (2018) der zweite Besuch der Autoren Duos Feridun Zaimoglu und Günter Senkel in Worms. Die Idee, die Geschichte aus der Perspektive Dietrich von Berns zu erzählen, stammt von Thomas Laue (künstlerischer Leiter der Nibelungen-Festspiele), wie Mit-Autor Günter Senkel bei der Pressekonferenz zum Stück verriet. Gefragt, warum sie nach „Siegfrieds Erben“ erneut in den Nibelungenkosmos eindringen, erklärte Senkel, dass sie die Idee spannend fanden. Außerdem hätten sie eine Leitlinie: „Wir versuchen das erzählen, wo es Leerstellen gibt und so sind wir auf Dietrich von Bern gestoßen“. Insofern sei es für sie vorstellbar, noch ein weiteres Stück zu erfassen. Tatsächlich ist „Der Diplomat“ bereits die vierte Auseinandersetzung des Autorenduos mit den Nibelungen. 2015 schrieben sie schon einmal ein Stück für das Münchner Volkstheater. Zuletzt erzählten sie am Düsseldorfer Schauspielhaus Richard Wagners „Rheingold“ als „Eine andere Geschichte“. Im Übrigen auch inszeniert von Regisseur Roger Vontobel. Bei der Pressekonferenz gab Zaimoglu eine wortgewaltige Kostprobe und las einen Monolog Kriemhilds. Die Szene: Siegfried ist tot. Sein Leichnam ist aufgebahrt in einer Halle, blutet aber dennoch): „Wenn dein Mörder an deine Bahre tritt, quellt dir das Blut aus dem Körper. Du bist tot, du solltest nicht bluten“. Doch die Verwunderung der trauernden Witwe weicht bald der Wut: „Verflucht sei meine Sippe. Verfaulen sollen ihre Seelen.“ Schließlich kündigt sie an: „Ich bin der blendend weiße Geist, der durch die Kammern streift“. Nicht unbedingt die beste Voraussetzung für Dietrich von Bern, der im Auftrag Etzels um die Witwe werben soll. Wie dies Brautwerbung schlussendlich verläuft, das erfahren wir am 12. Juli, den an diesem Tag erlebt das Stück seine Premiere und wird anschließend noch bis zum 28. Juli gespielt. 

Besuchenswert ist natürlich auch das Kulturprogramm. Dort gibt es auch eine Rückkehr eines altbekannten Festspiel Namens, nämlich der Autor Albert Ostermaier. Der bekannte Münchner Literat schrieb von 2015 bis 2017 für die Festspiele. Für das Kulturprogramm der Festspiele schrieb er nun das Stück „Falsche Götter“. Im Mittelpunkt des Stücks stehen drei Nornen. Nornen sind in der nordischen Mythologie schicksalsbestimmende weibliche Wesen, von denen einige von Göttern, andere von Zwergen oder Elfen abstammen sollen. Mahnend kommentierten sie mit ihrem unheimlichen Auftreten die Handlungen der Figuren, ehe diese selbst ahnten, wie diese sich im Netz des Schicksals verhedderten. In dem Stück spinnen und spannen sie, als drei das Schicksal raunende Göttinnen der nordischen Mythologie, die Lebensfäden. Sie verweben und verknoten die Handlungen und Beziehungen der „Nibelungen“-Sage immer wieder neu und unerwartet zu einer Erzählung, in der sich verschiedene Zeit- und Stilebenen gegenseitig durchdringen. Zwei der drei Nornen werden hierbei von Schauspielerinnen gespielt, die bei den Festspielen ebenfalls keine Unbekannten sind. So kehren in diesem Jahr Dennenesch Zoudé und Wiebke Puls wieder zurück nach Worms. Wiebke Puls war eine der ersten, die bei den Festspielen in dem Stück „Brünhild“ (2003) in der titelgebenden Rolle zu sehen war. Dennenesch Zoudé war 2016 Ensemblemitglied in dem Stück „Gold“. Die dritte im Bunde ist Sophie von Kessel, die zum ersten Mal im Kulturprogramm der Festspiele mitwirkt. Die Schauspielerin spielte, parallel zur ihrer Bühnenkarriere an den renommierten deutschsprachigen Schauspielhäusern, an einer Vielzahl erfolgreicher Fernseh- und Kinoproduktionen mit („Der Taunuskrimi“, „Ein starkes Team“, „Tatort“). Regie führt der renommierte Opern- und Theaterregisseur Ludger Engels.

Tickets und weitere Informationen zu „Der Diplomat“ und den Nibelungen-Festspielen finden Sie hier: www.nibelungenfestspiele.de